Diese Art von Bildung, also Bildung für ein gelingendes Leben, für ein fruchtbares Zusammenleben mit anderen, auch mit all den anderen Lebewesen auf unserem zerbrechlichen Planeten, kann weder von Regierungen angeordnet noch durch gesetzliche Regelungen umgesetzt werden.

Das ist eine Erkenntnis, die sich in unserem deutschsprachigen Kulturkreis nur sehr langsam auszubreiten beginnt. Nicht ohne Grund haben Menschen aus anderen Weltgegenden einen speziellen Begriff für das sonderbare Grundgefühl geprägt, das ihnen bei uns aufgefallen ist: „German Angst“. Sie meinen damit eine offenbar bei uns im Durchschnitt stärker als anderswo ausgebreitete Unsicherheit und Zukunftsangst. Das mag in unserer ziemlich zerrissenen und leidvollen Geschichte begründet sein, und diese „German Angst“ haben die Generationen vor uns vor allem durch das zu überwinden versucht, wofür wir nun ebenfalls weltweit bekannt sind: „German Perfektionism“, also alles möglichst gut unter Kontrolle zu bekommen, perfekt funktionierende Maschinen zu bauen, das Zusammenleben möglichst effektiv von „Oben“ nach „Unten“ zu organisieren und möglichst viele gesellschaftliche Aufgaben zu institutionalisieren.

 

In der Wirtschaft und in der Politik hat das noch bis vor kurzem recht gut funktioniert. Aber in der Bildung geht es so ganz offensichtlich nicht, jedenfalls nicht mehr in unserer inzwischen globalisierten und digitalisierten Welt. Da kommt es jetzt nicht mehr so sehr darauf an, möglichst gut ausgebildet zu sein, um komplizierte Maschinen und Abläufe perfekt zu gestalten und zu beherrschen. In dieser komplex gewordenen Welt werden sich künftig nur noch solche Menschen zurechtfinden, die über etwas verfügen, was sich überhaupt nicht unterrichten und erst recht nicht in Lehrpläne packen lässt: Einfühlungsvermögen, Achtsamkeit, innere Orientierung, Selbstverantwortung, Entdeckerfreude und Gestaltungslust.

Und vor allem die Fähigkeit, sich gemeinsam mit anderen auf den Weg zu machen, um die Probleme zu lösen und die Herausforderungen zu meistern, die das Leben im 21. Jahrhundert für uns alle bereit hält.

 

Weil Heranwachsende all das in Schulen nur sehr begrenzt lernen können und es dafür ja auch keine Lehrpläne oder Durchführungsverordnungen geben kann, kommt die deutsche Version des SEE-Learning-Programms der EMORY-Universität nun auch wie gerufen.

 

In vielen anderen Ländern wird es bereits sehr erfolgreich eingesetzt. Es geht in diesem Programm nicht um die Vermittlung von Wissen, schon eher um Anregungen, die den Lernenden helfen, selbst zu erkennen, was in ihnen, in anderen und im Zusammenleben von Menschen abläuft und wie sehr unser Denken, Fühlen und Handeln miteinander verbunden sind. Aber vor allem geht es um das Verstehen. Es gibt ja genügend Menschen, die sehr viel Wissen und Können, manche werden deshalb auch recht erfolgreich. Aber all das Wissen und Können, auch nicht die damit erzielten Erfolge, sind die entscheidende Voraussetzung dafür, dass ihnen ihr Leben und ihr Zusammenleben mit anderen gelingt. Dafür braucht es eine andere Art von Bildung – Herzensbildung, wie wir das im Deutschen nennen.

 

Das SEE-Learning-Programm öffnet den Blick und weist einen Weg hin zu dieser Herzensbildung, für Sie als Teilnehmende, und dann auch für Sie als kompetente Begleiterinnen und Begleiter anderer, wie ich hoffe, möglichst vieler junger Menschen.

 

Gerald Hüther

 

www.gerald-huether.de